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Trojaner im Meerwasseraquarium

Ein neues Buch! Noch ein Buch in der vielfältigen Landschaft aquaristischer Publikationen - da stellt sich dem kritischen Leser doch gleich einmal die Frage nach der Notwendigkeit. Nun, diese Frage soll in der folgenden Rezension beleuchtet werden. Aber – um es vorweg zu nehmen: Ja, dieses Buch ist notwendig. Notwendig und wichtig!

Schon im Titel wird deutlich, dass hier ein Thema behandelt wird, das vermutlich schon jeden Meerwasseraquarianer beschäftigt hat: Wirbellose Tiere und Algen, die zumeist unbemerkt ins Aquarium gelangen und dort nach einiger Zeit die Oberherrschaft erlangen, sodass die Artenbalance gestört wird. Zahllose Beiträge in Internetforen und viele Artikel in Fachzeitschriften beschäftigen sich mit Fragen rund um diese zumeist unerwünschten Lebewesen. Der Aquarianer fühlt sich gestört durch sie. Meist betrifft es das ästhetische Empfinden oder die Sorge um wertvolle Korallen, manchmal – man denke nur an die „Krustenanemonen – Diskussion“ der vergangenen Jahre - auch Bedenken um die eigene Gesundheit. Nur zu oft hilflos steht der Aquariumsbesitzer vor seinem Schmuckstück und muss zusehen, wie sich manche Tierchen oder Algen hemmungslos vermehren und so das Traumbild von Harmonie und Schönheit zunichte machen. Dargebrachte Ratschläge hilfsbereiter Zeitgenossen sind vielfältig: Von hochgiftigen Substanzen, die ins Aquarium eingebracht werden sollen, über alte Hausmittelchen, die schon Jahrzehnte ungefiltert von Buch zu Buch weitergegeben werden und nun auch im Internet kursieren bis hin zur Empfehlung, gewisse Tiere als Gegenmaßnahme einzusetzen, da diese mit Sicherheit der Plage den Garaus machen. Alles gut gemeinte Hilfsversuche, die jedoch in den wenigsten Fällen wirklich helfen und oft sogar schaden können.

Ganz anders geht es vorliegendes Buch an. Hier werden nicht ein paar todsichere (man beachte das Wortspiel) Patentrezepte, die auch auf einigen wenigen Seiten Platz gehabt hätten, aufgemotzt durch – wie das jetzt so „in“ oder „hip“ ist - bunte Hochglanzbildchen, Buch füllend präsentiert. Schon das erste überblicksmäßige Durchblättern macht klar: Hier haben wir ein Buch „zum Lesen“ in Händen: Keine übergroßen Lettern, keine zu weiten Zeilenabstände, keine unerklärlich breiten Seitenränder. Das Layout gefällt. Kompakter, gut gesetzter und strukturierter Lesestoff, der aufmerksam studiert werden will. Dazu natürlich Bilder – über 400! Deren Zweck es jedoch nicht ist, den Betrachter durch übernatürliche, computergenerierte Buntheit und entsprechende Größe ins Vorschulalter zurückzuversetzen, sondern das durch den Text Vermittelte zu veranschaulichen und visuell zu unterstützen.

Daniel KNOPs Ansatz, dieses hochbrisante Thema anzugehen, findet sich am Besten in diesem, dem Buch entnommenen Satz wieder: „Was wir im Riffaquarium vor uns haben, ist nicht die Schönheit einer lebenden Glasvitrine, sondern die eines hochdynamischen, komplexen Systems gegenseitiger Abhängigkeiten, das den Gesetzen der Natur folgt.“ Determinierungen wie „Parasit“ oder „Plagegeist“ werden vermieden. Die Natur ist zu vielschichtig, um mit diesen von Menschen geprägten Kategorien beschrieben werden zu können. „Dieses Buch will nicht einteilen in Gut und Böse, in Nützling oder Schädling“, können wir ein paar Zeilen weiter lesen. Nahezu ein Drittel, nämlich 50 Seiten, des Buches widmet KNOP dem komplexen Geflecht von Beziehungen zwischen den Arten im Aquarium und in der Natur, mit seinen sensiblen Gleichgewichten und gegenseitigen Abhängigkeiten. Und lässt uns dadurch Vieles in neuem Licht sehen. Erkenntnisse der modernen Verhaltensforschung zeigen auf, wodurch die Artenbalance aus den Fugen geraten kann und führt so zu neuen Erkenntnissen, welche Möglichkeiten der Aquarianer hat, um „Trojaner“ zu kontrollieren. Dabei wird mit manchem Irrglauben aufgeräumt. Denn letztlich geht es in den wenigsten Fällen um Symptombekämpfung als vielmehr um die Wiederherstellung eines Gleichgewichtes.

Sich dieses gleichgewichtigen Systems bewusst zu sein, stellt den wirklich „modernen Weg“ der Aquaristik dar. Aus Ungeduld mag man geneigt sein, diesen ersten, allgemeinen Teil zu überspringen, um gleich den zweiten Teil, der die „Trojaner“ und die Möglichkeiten, sie zu kontrollieren, im Detail beschreibt, zu lesen. Es kann jedoch nicht dringlich genug darauf hingewiesen werden, wie wichtig die Informationen des ersten Teils sind, um zu dem Verständnis zu gelangen, das für unsere Liebhaberei so unabdingbar ist.

Aus der großen Fülle des Geschrieben möchte ich nur als Beispiel das „Glasrosenproblem“ hervorheben. Vieles an bisher Geglaubten wird hier in Frage gestellt bzw. mit neuen Fakten belegt. Und das macht die Lektüre dieses Buches unter anderem so spannend: Es wird nicht tausendfach Gesagtes wiedergekäut, sondern aus eigenen Beobachtungen, wissenschaftlichen Fakten und einfühlsamer Denkweise ein zum Teil gänzlich neues Bild der Dinge dargebracht. Mich persönlich freut auch, dass immer wieder Gedankengut der Verhaltensforscherin Prof. Dr. Ellen THALER einfließt. Und auch Konrad LORENZ blitzt durch.

Im zweiten Teil, der sich den Tieren, die uns mitunter im Aquarium stören, widmet, werden diese Lebewesen nun detailgenau beschrieben. Ebenso – denn auch das verspricht schließlich der Titel – wird auf die Möglichkeiten, invasive Vermehrung zu kontrollieren, ausführlich eingegangen. Der Bogen spannt sich unter anderem von Glasrosen, Zwerg- und Krustenanemonen und Hydroidpolypen über Nacktschnecken, Turbellarien und Gänsefußseesterne bis hin zu Protozoen, Algen und Cyanobakterien. Auch Tiergruppen, die nur irrtümlich für „Schädlinge“ gehalten werden (etwa viele Borstenwürmer oder auch Rankenfüßer), werden beschrieben.

Teil 3 schließlich zeigt auf, welche Kontrollmöglichkeiten dem Aquarienwirt gegeben sind, um allfälligen Störenfrieden Herr zu werden. Physikalische (also das Entfernen von Tieren und Pflanzen inner- und außerhalb des Aquariums) und chemische Kontrolle (Verätzung sowie die Anwendung von antibiotischen Medikamenten) wird ebenso beschrieben wie der Einsatz tierischer Helfer. Noch einmal wird, wie schon im ersten Teil, eindringlich darauf hingewiesen, dass man Tiere nicht instrumentalisieren sollte, ohne ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Tiere sind keine „Verschleissware“, die man einfach verheizen kann. Konkret wird etwa betont, dass man Kupferband-Falterfische (Chelmon rostratus) nur paarweise in genügend großen Becken, die über eine genügend entwickelte Mikrofauna verfügen, pflegen sollte. Kann man dies nicht bieten, muss man auf diese Fischart eben verzichten – auch wenn an Glasrosen im Aquarium hat!

Neugierig geworden? Dieses Buch bietet weitaus mehr, als es der Titel vermuten ließe. Und ich denke, dass ich nicht verhehlen konnte, wie sehr es mir dieses Werk angetan hat. Ich weiß: Der Umstand, dass Daniel KNOP Chefredakteur der Zeitschrift KORALLE, in der ich selbst publiziere, ist, lässt den Verdacht aufkommen, ich hätte hier eine Werbeschrift verfasst. Jedoch: Wer mich kennt, weiß auch, dass ich keine „Gefälligkeitsgutachten“ erstelle (siehe z. B. meine Rezension über KNOPs Buch "Riffaquaristik für Einsteiger"). Ich bin der Meinung, dass ein Buch wie dieses längst fällig war. Und ich stehe nicht an zu sagen, dass dieses Buch sowohl für jeden Meerwasseraquarianer, als auch für alle, die mit dieser wunderbaren Liebhaberei beginnen möchten, zur Pflichtlektüre zählen sollte! Viel Freude damit!

Harold Weiss


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